Adé mein Herz
Fast vier Jahre gehörte sie zum Team für besondere Maßnahmen, hat uns mit ihrer Zärtlichkeit, ihrem Schnurren und Zirpen vielzwanzigmal am Tag zum Lächeln gebracht.
Heute wurde Kokoro von ihrer neuen Familie abgeholt.
Sie zieht in eine andere Stadt, kriegt einen Kater als Kumpel – und zwei wunderbare Damen als Personal.
Wie man auf dem Foto sieht, hat sie mir zum Abschied noch die Zunge rausgestreckt. Ätschbätsch!
Nun sitze ich und weine. Es ist die Geschichte eines Scheiterns. Vielschichtige Gründe und Hintergründe.
Einerseits waren Ginivra und Kokoro sich nie so richtig grün – auch wenn sie sich gegenseitig das Fell geputzt haben. Es war immer eine unterschwellige Anspannung, Aggression, Konkurrenz im Raum. Das war schwer auszuhalten.
Aber ich darf es nicht auf die Kätzchen schieben.
Als ich Kokoro im Herbst 2016 zu mir ins Haus holte, da konnte ich nicht vorhersehen, dass ich kurz darauf komplett arbeitslos sein würde. Ich konnte nicht hellsehen, dass ich kein halbes Jahr später so dermaßen krank werde, dass nicht einmal mehr die Rentenversicherung sich meine Quälerei noch mitansehen wollte und mich als dauerhaft arbeitsunfähig auf den Planet der Nutzlosen abschieben würde.
Seither erhalte ich eine sogenannte „volle Erwerbsunfähigkeitsrente“, unbefristet. Als Schwerbehinderte. Viel zu früh. Das Alter kam zu schnell. Mit Mitte fünfzig schon.
Die Frührente ist zu niedrig. Ich bin mit monatlich 300 Euro in der Altersarmut gelandet. Aussichtslos. Ergänzende Grundsicherung, weiterhin HartzIV. Ich schäme mich. Bin gedemütigt.
Ganz lange habe ich dazu nichts schreiben können. Jetzt ist es erst einmal raus. Shit happens. Ein andermal werde ich vielleicht ausführlicher darüber berichten.
Das Gute daran:
Das Jobcenter hat mir nichts mehr zu sagen. Gar nichts mehr. Dieses schreckliche Amt, das Foltern und Fordern – ich bin es ein für alle mal los. Ich kann zu nichts mehr gezwungen, nicht mehr sanktioniert werden. Diese Freiheit habe ich teuer bezahlt. Auf meine Diagnosen hätte ich gerne verzichtet.
Das Schlechte daran:
Als Sozialhilfeempfängerin darf ich nicht einen einzigen Euro dazuverdienen, ohne dass das Sozialamt mir gleich 70 Prozent davon wieder abzieht. Kein Freibetrag mehr.
Nur ehrenamtlich darf ich mich weiterhin sittenwidrig selbst ausbeuten.
Immerhin: Aufwandsentschädigungen darf ich behalten bis zu einer Höhe von maximal 200 Euro monatlich.
So viel Ehrenamt schaffe ich gar nicht! Trotzdem:
Durchschnittlich knappe hundert Euro mehr im Monat haben das Katzenfutter finanziert und eine Tankfüllung.
Zwei Jahre lang habe ich das irgendwie gedingelt, die Balance gehalten. Mit zwei Kätzchen.
Dann kam Corona, und mein Ehrenamt war weg. Samt Aufwandsentschädigung.
Meine wunderbare graue Zauberkatze war schon lange krank. Von Tag zu Tag schlimmer. Seit dem Frühjahr eine teure Tierarzt-Odyssee, bis endlich herauskam: Ginivra hat eine chronische Darmentzündung. Und eine Schilddrüsenüberfunktion. Die Tierarztkosten machten wiederum mich krank. Schnüren mir die Luft ab.
In den letzten Monaten ging jedes Mal meine komplette Rente drauf. Für Untersuchungen, Diagnosen, Behandlungen, Medikamente, Spezialfutter. Alles für die Katz²!
Meine Verzweiflung, meine Anspannung, meine Not übertrugen sich auf die Tiere, verschlimmerten die Symptome von uns allen: Meine genauso wie die von Ginivra und Kokoro. Verstärkten auch den Stress zwischen beiden Katzen.
Das Leben kann ein Luder sein.
Besondere Ereignisse erfordern besondere Maßnahmen.
Loslassen, auch wenn das Herz blutet:
Lange habe ich mit mir gekämpft – und Kokoro nun doch abgegeben.
Nun sind wir wieder zu zweit. Die graue Katze und ich.
Die bezaubernde Gini wirkt ganz gelassen. Sie scheint sehr einverstanden damit, wieder ihre alte Rolle der alleinigen Diva einzunehmen und ist ganz selbstverständlich CEC – Chief Executive Cat.
Kokoro hat eine neue Familie und lebt jetzt bei Menschen, denen es möglich ist, Katzenfuttter zu kaufen ohne selbst zu hungern.
Das erleichtert mich.
Aber es trocknet nicht meine Tränen.