Abwasch
Content Note:
Im folgenden Text geht es um Kindesmisshandlung und traumatisierende Erlebnisse.
Manchmal, dann reicht eine Geste. Oder ein Geruch – und der ganze Aufruhr beginnt von vorn. Manchmal, dann werden scheinbar harmlose, alltägliche Dinge zu gefährlichen Stolperfallen.
Hausarbeit kann ich nicht leiden. Das ist jetzt nichts besonderes. Das geht wohl vielen Frauen so. Nicht jede von uns kam mit einem Putz-Gen zur Welt, das uns erst dann glücklich und zufrieden sein lässt, wenn die Wohnung blitzeblank und kein Stäubchen nirgends mehr zu finden ist.

Die Spüliflasche – © Foto & Text: mo jour
Angeblich liegt das Blitzblank-Gen auf dem einen Viertel des zweiten fraulichen X-Chromosoms, das Männern fehlt, weswegen ihr zweites männliches Chromosom nur ein Y ist. Genau: Männer sind Männer aufgrund eines Mangels an genetischer Information.
Aufgrund dieses Mangels seien Männer für Hausarbeit nicht geschaffen, behaupten sie von sich selbst. Damit Unsereine nur ja nicht auf die Idee käme, ihn um Hilfe bei der Hausarbeit zu bitten. „Was, ich soll den Müll runtertragen (bügeln, die Fenster putzen, staubsaugen ….)!? Aber Schatz, das können Frauen doch viel besser als Männer!“
Wenn ich aber sehe, wie hingebungsvoll so ein angeblich ohne Putzgen geborener Mann sein Auto poliert oder sein Motorrad, sein Segelboot wienert oder die Zinnsoldatensammlung abstaubt, dann halte ich diese Theorie eindeutig für widerlegt. Unwiderruflich.
Wie auch immer. Ich habe nicht regelmäßig einen Mann in meiner Nähe, der mir lästige Hausarbeiten abnehmen könnte. Ich mache alles selbst.
Die Monotonie der immer gleichen Handgriffe, die Routine der immer gleichen Arbeiten sind mir ein Graus: die weibliche Sisypha schuftet nicht den immer gleichen Felsbrocken den immer gleichen Berg hinauf, sondern den immer gleichen Staubsauger über den immer gleichen Fußboden. Unerträglich! Welch eine Verschwendung von Zeit und Energie.
Früher mal, als ich noch nicht akademisches Prekariat war, sondern Akademikerin, da habe ich den wöchentlichen Grundputz an eine Haushaltshilfe delegiert oder mit ihr gemeinsam erledigt. Das kann ich mir schon lange nicht mehr leisten.
Im Büro für besondere Maßnahmen putzt die Chefin noch selbst.
Nicht, dass ich‘s nicht könnte. Die Mutter hat es mir früh beigebracht. „Mach dich niemals abhängig von einem Mann“, unkte sie und schickte schon die Grundschülerin mit Putzlappen, Schrubber und Wischeimer auf den Unabhängigkeitstrip. Im Haushalt, versteht sich.
Sie war eine strenge Lehrerin. Ungeduldig und pingelig. Sie ging kontrollieren. Als ich einmal die Scheuerleiste im Treppenhaus vergessen hatte, holte sie das nach und wusch mir anschließend mit dem stinkenden nassen Dreckslappen das Gesicht. Ich wollte meinen Kopf wegdrehen und ausweichen. Die Mutter aber hatte meinen Oberarm fest im Griff und brüllte mich an: „Der Lappen kann ja gar nicht dreckig sein. Du hast doch gesagt, du hast sauber geputzt. Dann ist auch der Lappen sauber! Also stell dich nicht so an!“
Ich tat mein bestes, den Ansprüchen der Mutter gerecht zu werden. Ich war selten gut genug. In meiner Erinnerung höre ich die Mutter oft fauchen und keifen.
Neulich mal fiel mir wieder auf, wie angespannt ich bin bei der Hausarbeit. Besonders beim Abwaschen. Ich presse die Zähne aufeinander und bin ganz verbissen. Immer noch.
Erstmals bemerkte ich dieses Phänomen mit Anfang zwanzig. Damals war ich Studentin in Freiburg. Schon damals möglichst weit weg von den Eltern in Köln.
Natürlich habe ich inzwischen eine Spülmaschine. Aber es gibt Dinge, die stelle ich da nicht rein. Die alten geschliffenen Kristallgläser zum Beispiel, hauchzartes Jugendstil. Oder die Frühstücksmesser mit dem Perlmuttgriff; viele Kochutensilien, weil ich die gleich wieder brauche. Pfannen. Sowas halt. Das wasche ich von Hand. Mit Spüli.
Ich mach‘s – aber ich mag es nicht. Ich mag den Geruch von Spüli nicht und nicht den von Abwaschwasser. Ich mag meine Hände nicht in das Waschwasser tauchen. Ich mag auch nicht, wie die Haut an den Händen davon schrumpelig wird. Gummihandschuhe mag ich nicht anziehen. Dann fehlt mir das Fingerspitzengefühl. Die Hände werden dann trotzdem schrumpelig. Und stinkig.
Außerdem ist das Wasser heiß. Es muss doch alles blank werden!
Plötzlich kriegt der kindliche Anteil meiner Seele, der irgendwo in meinem Bauch zur Untermiete wohnt, einen Tobsuchtsanfall: „Das Wasser ist zu heiß! Wieso machst du immer das Abwaschwasser so heiß, dass wir uns die Finger daran verbrennen?! Das ist doch viel zu heiß! Das tut weh!“
Das „innere Kind“ ist mir wichtig. Also lasse ich den Abwasch erst einmal stehen. Ich glaube, heute ist sie ungefähr acht Jahre alt. Vielleicht auch schon zehn. Ich gebe ihr ein Glas Saft. Mache einen Kaffee für mich. Dann setzen wir uns an den großen Tisch. Sie ist immer noch wütend und weint und kann sich gar nicht beruhigen.
Dann erzählt sie mir, wie das damals war. Als sie den Abwasch machen musste. In der Küche meiner ärmlichen Kindheit. Wo es nur fließend kaltes Wasser gab. Das Wasser wurde in einem Wasserkessel gekocht, mit Flöte. Der stand auf dem Küchenherd, der zum Kochen und zum Heizen da war. Der Küchenherd wurde mit Kohle befeuert. Mit Steinkohlen. In Eierform: Eierkohlen eben. Aus dem Ruhrgebiet. So war das früher, in den 1960er und 1970er Jahren. Unser heißes Wasser.
Die Schüssel mit dem Abwasch stand auf der Anrichte, und das Mädchen stand auf einem Holzbänkchen davor. Sie hatte warmes Wasser gemacht mit ganz viel Schaum. Sie wusch das Geschirr. Die Mutter kam: „Hier das muss auch noch sauber werden …“ – und legte noch irgend etwas in die Schüssel mit dem Abwaschwasser. „Aber Kind!“ fauchte die Mutter. „Das ist ja fast kalt! Da wird doch gar nichts sauber!“
Da ging die Mutter zum Herd und holte den Kessel mit dem heißen Wasser. Ich hatte die Hände noch in der Schüssel, unter dem Schaum. Die Mutter goss einfach das fast kochende Kesselwasser über meine Hände: „So jetzt ist es heiß genug.“
Ich sagte nichts. Ich biss die Zähne zusammen und machte einfach weiter.
Nachdem wir uns wieder beruhigt haben, mein inneres Kind und ich, gehe ich in die Küche zurück. Mein Abwaschwasser ist fast kalt geworden. Ich kümmere mich nicht mehr darum. Die kostbaren Gläser werden trotzdem sauber.
Die Moral von der Geschicht‘? Ab sofort darf ich mit lauwarmem Wasser abwaschen.
Für diese Erkenntnis habe ich mehr als vier Jahrzehnte gebraucht.
Edit:
Der Text stammt aus dem Jahr 2011 und erschien zuerst im „Büro für besondere Maßnahmen / südwest“ auf mojour.blogspot.com
Weil ich mich erst neulich dabei erwischt habe, dass mein Abwaschwasser mal wieder viel zu heiß war, habe ich ihn überarbeitet und hier neu veröffentlicht.