Beige
„Werd‘ bloß nicht beige!“ greinte meine Freundin neulich, als ich ihr mein neuestes Werk vorführte.
Nicht, dass ich so eine olle Strickliesel wäre. Aber manchmal, dann packt es mich: Ich muss etwas mit den eigenen Händen schaffen, weil ich dringend ein vorzeigbares Ergebnis brauche, um meine Existenz zu spüren.
In solchen Momenten steige ich in meine Kochtöpfe, werfe die Nähmaschine an oder hocke mich mit den Stricknadeln vor die Glotze.
Keine Angst – das Büro für besondere Maßnahmen wird jetzt nicht zum Do-it-yourself-Blog. Ich erkläre auch nicht en Détail, wie ich diese zauberhaften Pulswärmer aus seidiger Bambus-Viskose mit tomatenroten Streifen und einer Satinrosenapplikation auf der Herzensseite fabriziert habe. Die Farbe? Hell-lichtsandeierschale, würde ich mal sagen. Aber „Beige“ ist das ganz sicher nicht!
Die Bemerkung meiner Freundin jedenfalls brachte mich zum Nachdenken und Beobachten. Tatsächlich habe ich festgestellt: Mit steigendem Alter nimmt bei gewissen Menschen die Vorliebe für Natur- und Erdtöne zu.
Beige ist ja nicht nur keine Farbe, sondern bisweilen auch synonym für „farblos und langweilig“, bedeutet im übertragenen Sinne „freudlos und unflexibel“. In der Reha damals in Heiligendamm habe ich das ganz klar erlebt. Da ertrank ich fast in einem Meer von beigen Zeitgenoss*innen. Undefinierbar unauffällig. Dazwischen ich und ein paar andere bunte Vögel, die misstrauisch abwertend beäugt wurden.
Beige kommt daher mit dem Attribut „pflegeleicht“. In allen Schattierungen, spätestens mit den Wechseljahren. Da schüttelt‘s mich! Ich bin weder knitterarm noch faltenfrei! Schließlich habe ich mir erst vor kurzem eine neue schwarze Lederjacke zugelegt. Ich bin doch keine Isabell!
Tatsache ist, dass ich schon vor einer ganzen Weile beschlossen habe, meinen seit mehr als vier Jahrzehnten fast durchgängig schwarzen Kleiderschrank farblich ein wenig aufzulockern. Das ist harte Arbeit, weil ich aus alter Gewohnheit meistens dann doch wieder mit etwas kleinem Schwarzen nach Hause komme.
Was kombiniert sich gut mit schwarz? Richtig. Ungefärbte Naturmaterialien. „Erdtöne“, Sagte die Farbberaterin meines Vertrauens. Au weia. Das war ein Schock! Zum Glück steht mir aber auch petrolgrünmeerblau ganz hervorragend. Und rot erst! Oder olivgoldgrün … Zwischen radikalschwarz und farblosbeige gibt es also eine Menge bunter Zwischentöne, und ich werde hoffentlich noch lange damit beschäftigt sein, die alle auszukosten.
Nebenbei frage ich mich, ob diese beige Angelegenheit nicht auch ein eher deutsches „Phänomen“ ist. In anderen Ländern ist mir das nie aufgefallen, dass die Kleidung mit dem Alter der Träger*innen farbloser wird. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass die Deutschen oft so graue Gesichter haben, verbittert wirken und so wenig lachen. Dann ist es ganz egal, welche Farben die Menschen tragen – sie sehen immer ‚irgendwie beige‘ aus.
Damit aber liegen die Deutschen durchaus im universellen Trend. Die Durchschnitts-Farbe des gesamten kompletten kosmischen Universums ist nämlich – na was wohl? Beige! Das haben die Sternengucker herausgefunden. Astronomen nannten die Farbe freundlich „cosmic latte“ mit dem Hex-Code #FFF8E7.
Ich fass‘ es nicht! Muss ich jetzt doch beige werden? Oder bin ich es etwa schon!? So kosmisch, irgendwie? Jedenfalls mag ich das durchschnittsfreundliche Universumshellbeige ziemlich gern und habe es unverzüglich als Hintergrund für diese Webseite gewählt. Auffällig unauffällig, oder etwa nicht?!
Schnell noch einen Milchkaffee. Der darf dann gerne dunkelbeige sein. Aber einen ganz irdischen, bitte!